Der Richter, der den Schläger freiließ

26. April 2011 21.00 Uhr, ths/ lex/ jas/ bodo/ cat

Richter Sebastian J. (46), der den Kopftreter frei herumlaufen lässt, will seine Gründe nicht erklären.

Dienstag, Amtsgericht Tiergarten, B-Gebäude, 5. Stock. Nach mehrmaligem Klopfen öffnet Richter Sebastian J. (46) die Tür seines Dienstzimmers. Weißes Hemd, gestreifter Schlips, Anzughose. „Warum lassen Sie den Gewalttäter vom U-Bahnhof Friedrichstraße frei herumlaufen?“, fragt der B.Z.-Reporter. Abweisende Antwort: „Ich kommentiere meine Entscheidungen nicht in der Öffentlichkeit.“
Tatort Berlin-Mitte. Fünfmal tritt Juristensohn Torben P. (18) aus Heiligensee mit Wucht auf den Kopf des Mariendorfer Installateurs Markus P. (29) ein. Und führt danach einen Freudentanz auf, das Überwachungsvideo schockiert Deutschland (B.Z. berichtete: Das Horror-Video der U-Bahn-Attacke).
Dass der geständige Gewalttäter locker weiter durch Berlin läuft, während sein Opfer fast totgetreten wurde, schlägt für viele dem Fass den Boden aus.
Richter Sebastian J. erließ zwar Haftbefehl wegen versuchten Totschlags, verschonte Torben P. aber vom Knast. „Wenn es Einwände gegen meine Entscheidung gibt, können diese von der Staatsanwaltschaft erhoben werden, was bisher nicht geschehen ist“, sagt er. Er hätte auch anders entscheiden können, sein Ermessensspielraum als Richter hätte das zugelassen.
Welle der Empörung
Bei Politikern, Polizei und BVG sorgt die Haftverschonung deshalb für eine Welle der Empörung.
► „Es sind genau solche Entscheidungen, die bei den Menschen als Kuscheljustiz ankommen und das Vertrauen in Gerechtigkeit untergraben.“ (Frank Henkel, CDU)
Die Bundesregierung will erst im Juni einen Gesetzentwurf vorlegen und einen „Warnschuss“-Arrest für Jugendliche einführen, damit jungen Straftätern „deutlich die Konsequenzen weiterer Gesetzesverstöße vor Augen geführt“ !würden.
► „Täter dürfen nicht den Eindruck gewinnen, ich gehe mal schnell zur Polizei, erzähle, was stattgefunden hat, und bin fertig damit.“ (Bernd Carstensen, Vizechef Bund Dt. Kripobeamter)
► „Der Täter war ja völlig von Sinnen. Ich halte es für ein fragliches Signal, dass er jetzt erst einmal wieder auf freien Fuß gesetzt worden ist.“ (BVG-Sprecher Klaus Wazlak)
► „Man muss genau anschauen, wie es zu diesem Gewaltausbruch kam, sonst könnte er leicht zum Wiederholungstäter werden. Gewalttäter in diesem Alter müssen sofort die Tragweite ihres Handelns zu spüren bekommen.“ (Dr. Werner Platz, Gerichtspsychiater)
Andere verteidigen die umstrittene Entscheidung.
► Es gebe eine Vielzahl von Gründen, dass der Verdächtige nicht untertauchen werde, so Holger Freund, Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft. Er habe sich gestellt, sei geständig, reumütig, lebe bei seinen Eltern, gehe zur Schule, fiel noch nie polizeilich auf und melde sich dreimal die Woche bei der Polizei.
► „Wenn weniger einschneidende Maßnahmen als Gefängnis geeignet sind, um der Fluchtgefahr zu begegnen, ist ein Richter einfach gesetzlich zur Haftverschonung verpflichtet.“ (Stefan Finkel, Richterbund Berlin)
Die Mutter des Kopftritt-Opfers ist fassungslos:
► „Wie kann es sein, dass solche Täter nach Hause dürfen, ein Steuersünder dagegen eingesperrt wird?!“

aus: Berliner Zeitung

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